Textfeld:

Wie wurden die Kirchen ausgelegt ?

Die Kirchen sind meistens mit dem Chor nach Osten ausgerichtet. Dabei wurde der ausgesuchte Platz (meist auf einer Anhöhe gelegen) zuerst geräumt und dann der Grundriss mittels geometrischer Konstruktionen (z.B. Turmgrundriss als regelmässiges Achteck) sowie einfachen Berechnungen (addieren, multiplizieren, subtrahieren, dividieren) ausgelegt. Die Auslegung der Mauern (Breite, Höhe) basierte wohl auf Erfahrungswerten, die weitestgehend mündlich weitergegeben wurden und nicht auf statischen Berechnungen, wie wir sie heute kennen (damit begann man im 18 Jhr.).  Diese Erfahrungswerte bestanden z.B. aus Verhältnissen, denen oft die Chorweite zugrunde gelegt wurden (z.B. 1:10 Wandbreite zu Chorweite). Es gibt so gut wie keine schriftlichen Aufzeichnungen aus der Zeit vor dem 15. Jhr. und diese sind z.T. unterschiedliche Abschriften der nicht mehr vorhandenen Originale die sich mit Architekturtheorie und Grundlagen zur Geometrie befassen.

Erhalten sind aus dem deutschen / österreichischen Raum nach [4a]

· Wiener Werkmeisterbuch (15. Jhr, Autor unbekannt)

· Von des Chores Maß und Gerechtigkeit (ca. 1500, Autor unbekannt)

· Unterweisungen (1516, Lorenz Lechler, ein kurpfälzischer Hofarchitekt)

· Das Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit (1486, Matthäus Roriczer, Dombaumeister in Regensburg)

· Geometrica Deutsch (1487/1488, Matthäus Roriczer s.o.)  [4b]

· Fialenbüchlein (ca. 1485, Hans Schmuttermayer)

 

Sowie

· Bauhüttenbuch (1225 bis 12356, Villard de Honnecourt, frz. Baumeister oder Steinmetz) [4c]

 

Quelle für folgenden Abschnitt: [2a] (aufbereitet und wiedergegeben nach meinem eigenen Verständnis, sollten sich Fehler eingeschlichen haben bitte ich um eine Info)

Der folgende Abschnitt soll die Zusammenhänge einiger Gebäudemaße zum Schlüsselmaß wiedergeben. Achtung ! Die Quelle [2a] hat die Gültigkeit einiger „Baumeisterregeln“ an heutigen Kirchen  (im süddeutschen Raum) überprüft und dabei teilweise Übereinstimmungen festgestellt; jedoch muß davon ausgegangen werden, dass je nach Zeit, Baumeister, regionalen Geschmäckern etc. die Regeln keine exakte Anwendung finden.  Schauen Sie doch selbst mal nach, wenn Sie die Gelegenheit haben, eine alte Kirche zu besuchen !

Chor

Die Weite des Chors wird hier als Schlüsselmaß angenommen. Als Chorform beliebt war ein Achteck (bzw. 5 Seiten davon, die anderen drei Seiten würden in die Kirche hereinzeigen).

Kirchenmodell
www.kirchenbau-mittelalter.deKirchenmodell
www.kirchenbau-mittelalter.de

Skizzen eines Kirchenmodels, welche einige Auslegungsmaße einer mittelalterlichen Kirche enthält. Sie enthält ein Querschiff und zwei Seitenschiffe von gleicher Höhe wie das Mittelschiff, so dass eine Kirche vom Typ „Halle“ entstand.

 

Skizze zur Chorbreite
www.kirchenbau-mittelalter.de

Chor mit fünf Seiten eines Achtecks, rechts im Bild, mit Schlüsselmaß (hier 10m) für die „lichte Weite“ also der Chorbreite.

 

Wandstärke Chor

Die Wandstärke des Chors hängt unmittelbar von seiner Weite ab. In aller Regel betrug die Wandstärke 1/10 der Chorweite (rote Pfeile), je nach Qualität der Baumaterialien wird etwas zugegeben oder verringert (ein „Schuh“ oder ein „Fuß“).

Skizze zur Wandbreite an Chor und Langhaus
www.kirchenbau-mittelalter.de

Die Wandstärke des Haupthauses kann sich davon unterscheiden (grüne Pfeile, siehe „Dimensionierung des Langhauses“, hier im Beispiel um Faktor Wurzel 2 dicker). Als optimal wurde angesehen, wenn der Chor etwa zwei– bis dreimal so lang wie er breit ist.

Skizze zur Chorhöhe und Chorbreite
www.kirchenbau-mittelalter.de

Die Chorhöhe kann (bis zum Bogenansatz, dem „Kämpfer“) einmal bis dreimal so hoch sein wie er breit ist; idealerweise Faktor 2. In diesem Beispiel sind es 20m (2x 10m Chorbreite, dazu kommt noch die Höhe der Gewölbebögen von ca. 5m). Die Breite des Chores gilt auch (mehr oder weniger genau ) als Maß für die Breite des Mittelschiffes.

Die Dimensionen des Langhauses sind nicht genau festgelegt, es kommt sehr auf die Größe der Gemeinde und die  den Gegebenheiten des Bauplatzes an. Ein gutes Maß für die Langhauslänge kann die doppelte Länge des Chores sein, die Breite (zumindest des Mittelschiffes) beträgt in etwa die des Chores. Die Höhe kann die gleiche sein wie die des Chores oder das ein– bis dreifache der Chorweite (es gilt wieder das Maß bis zum Kämpfer). Die Wandstärke des Langhauses kann der des Chores gleichen (1/10 der Chorbreite) oder etwas robuster mit 1:Wurzel2 in Bezug auf die Chorwanddicke. Der Faktor Wurzel 2 erklärt sich aus der beliebten Methode der Drehung von Quadraten in die Diagnoale, dabei verändert sich jede „Schicht“ um den Faktor Wurzel 2. Dieses System findet sich vorrangig bei der Skalierung von kleineren Gegenständen wie Fialenschmuck außen an der Kirche.

 

Quadrate nach "Wurzel2-Methode"
www.kirchenbau-mittelalter.de

Bild : Diagonal-Verschachtelungsprinzip erzeugt Quadrate die sich um den Faktor Wurzel2 vom Vorgänger / Nachfolger unterscheiden.

 

Skizze zu Pfeilerabstand
www.kirchenbau-mittelalter.de

 

Der Abstand der Pfeiler wird vorgeschlagen als 1/2 oder 2/3 der Chorbreite (gemessen von Pfeilermitte zu Pfeilermitte); es gibt auch eine Regel die besagt, dass der Abstand die dreifache Langhausmauerstärke (welche zur Chorweite 1:10 oder Wurzel2 : 10 steht) betragen soll, in diesem Fall aber nicht von Pfeilermittelpunkt zu Pfeilermittelpunkt aus sondern die „lichte Weite“ dazwischen; die Jochlänge beträgt also das vierfache der Haupthausmauerstärke.  Die Pfeiler selbst können Achtecke sein, von denen dann jeweils drei Seiten aus der direkten Flucht zum Chor herausstehen sollen. Die Pfeilerstärke zur Chormauerstärke lässt sich nach [2a] interpretieren als  1+Wurzel2 (2,414) : 1.

Außerhalb der Kirche finden sich Strebepfeiler, die den Gewölbeschub aufnehmen sollen : das Gewölbe „drückt“ nicht nur nach unten, sondern auch auf die Seite — bei hohen Mauern könnten diese einstürzen, wenn man nicht von außen „dagegendrückt“ und das ist die Aufgabe der Strebepfeiler. Die Strebepfeiler stabilisieren auch gegen Windlasten die mit steigender Höhe stärker zunehmen. Die Strebepfeiler können eine einfache Mauerabstützung sein, etwa so breit wie die Chormauer dick ist mit einer Ausladung (= Richtung zeigt von der Kirche) 2:1 oder Wurzel2 :1 zur Breite. Bei bei größeren, höheren Gebäuden kann die Abstützung zu einem ganzen Strebewerk mit Bögen, Türmchen und Fialen ausgeweitet werden.  Die Quelle [4c] berichtet von einem Disput im Jahre 1400 zwischen Erbauern des Mailänder Domes und einem aus dem Ausland hinzugezogenen Fachmann, welcher als Maß für die Strebepfeilerdimensionierung angibt, die Strebepfeiler müssten dreimal so stark sein wie die inneren Pfeiler. Der Artikel gibt gut die einfachen Vorstellungen von Statik in der damaligen Zeit wieder; so sollen die damaligen Bauingenieure gesagt haben, dass alles „was handwerklich gut ausgeführt und lotrecht gebaut werde, könne niemals einstürzen“, egal wie hoch.  Das Maß für den aufzunehmenden Gewölbeschub (also Kräfte, die das Gewölbe auf die Mauern ausübt und annähernd horizontal wirken) muß recht unterschiedlich eingeschätzt worden sein, ausrechnen konnte man es nicht.

Für die Weite der Fenster ist ebenfalls eine Regel bekannt: 3/5 des Abstandes zwischen zwei Strebepfeilern ist dem Fenster vorbehalten.

Skizze zur Fensterbreite
www.kirchenbau-mittelalter.de

 

Für das Gewölbe ist die Dimensionierung des Kreuzbogens (in unserem Beispiel halbkreisförmig) zu nennen, dafür wird in einer Quelle (Lechler) für die Überspannung großer Weiten die Mauerstärke in sechs Teile geteilt, die Breite des Kreuzbogens entspricht einem Sechstel, die Ausladung (Tiefe) beträgt zwei Sechstel.

Das Dach wird in der Regel als gleichseitiges Dreieck angenommen, die zu überspannende Breite definiert das Maß der beiden Dreieckseiten für das Dach.

Thomas Pröttel, 29.12.07

Listinus Toplisten